WG gesucht !

Sie sind laut und raumgreifend. Sie versauen deine Küche und beleben deinen Alltag. Sie quatschen dich voll, bis dir die Ohren qualmen und hören dir zu, bis dein Herz wieder leichter ist. Sie bringen dich zur Weißglut und wischen dir die Tränen ab, sie sind deine morgendliche Nemesis beim Kampf um den Platz im Bad und dein treuer Gefährte an einsamen Tagen. Mit ihnen teilst du dein Sofa, deine Toilette, deine Freunde und die Postanschrift. Und im schlimmsten Fall stolperst du über ihre Hinterlassenschaften. Jeder war schon einmal einer und jeder hatte sie schon: Die Rede ist von MitbewohnerInnen.

Mitten auf Eiderstedt steht im Grünland ein großer Hof. Die Balken, die das große Reetdach tragen, sind über zweihundert Jahre alt; eine große 1797 steht unter dem Giebel. Viele, viele Menschen haben hier schon ihr Leben miteinander geteilt. Aber gerade sind es nur zwei. Und diese beiden sind Jan und ich. Als wir dachten, diese Zeiten seien für uns eigentlich vorbei, haben wir noch einmal eine WG gegründet und dürfen den Hof für eine Weile unser gemeinsames Zuhause nennen. Keine Sorge – wenn ich von Hinterlassenschaften spreche, dann meine ich keinen von uns; das klappt ganz gut. Aber es gibt da noch einen Dritten.

Oder vielmehr eine Sie? Jedenfalls hat Hofbewohnerin Nummer Drei einen vollkommen anderen Lebensrhythmus als wir und lebt in einem Raum, der kaum einen halben Quadratmeter Fläche und nicht mal eine Heizung hat. Wenn wir schlafen gehen, wird sie erst so richtig munter, und wie einer WG-Genossin, die dem Nachtleben verfallen ist und der man nur abends auf dem Sprung noch ganz kurz begegnet, treffen wir unsere geheimnisvolle Dritte nur selten einmal persönlich an. Dann zeigt sich im Scheinwerferlicht des Autos auf der Auffahrt plötzlich eine weiße Silhouette: Es ist eine Schleiereule.

Die „Barn owl“, also „Scheuneneule“ ist natürlich ein wildes Tier. Dafür sprechen ihre messerscharfen, sichelförmig gebogenen Klauen, ihr extrem gut entwickelter Richtungshörsinn und ihre unvergleichliche Stimme, die das auf die Spitze getriebene Gegenteil einer Nachtigall ist und mit ihren heiseren Fauchlauten jedem Death-Metal-Sänger zur Ehre gereichen würde. Und doch: Scheuneneule. Der Name zeugt davon, dass dieser wundersame Vogel die Nähe des Menschen seit langer Zeit sucht. Denn eine traditionelle Bewirtschaftung von Feldern mit reichlich anfallenden Sämereien sorgt für einen hohen Bestand an Feldmäusen. Offene Ställe und Scheunen bieten Unterschlupf für Rast und Brut. Es gab schon Schleiereulen, die ganze Kältewinter in ihrer Scheune verbracht und sich dort von Hausmäusen ernährt haben. Die oben angesprochenen Hinterlassenschaften sind also die berühmten Gewölle, wieder hervorgewürgte, unverdauliche Reste ihrer bepelzten Beutetiere. Bei einer Hochzeit auf dem Land habe ich sogar mal eine Schleiereule über die Braut fliegen sehen, was ich besonders charmant fand; so wurde sie zur Brautschleiereule. Und genau so wird der schöne Nachtvogel eben auch zur Scheuneneule, dem wohl geheimnisvollsten Kulturfolger unserer Breiten. In Frankreich heißt die Eule übrigens bisweilen „la dame blanche“, also „die weiße Dame“. Darin schwingt einerseits eine gewisse Hochachtung mit, andererseits klingt auch durch, dass die Eule nicht immer so ganz geheuer ist. Und sie hat ja wirklich etwas Gespensterhaftes. Der alte Glaube, dass eine an die Scheunentür genagelte Eule Blitzschlag und Hagel abwenden soll (es funktioniert nicht!) steht in einem seltsamen Kontrast zu ihrer Beliebtheit als Vertilger unliebsamer Nagetiere. Die Eule als Hüter des Hofes? Auf vielen Bauernhöfen wird ihr immerhin mit einem Nistkasten der rote Teppich ausgerollt, sie ist willkommen - so auch bei uns!

Unsere Mitbewohnerin ist jedenfalls wunderschön. Jan ist sowieso schon seit seiner Kindheit in diesen Vogel verliebt. Der Lohn dieser anhaltenden Sehnsucht sind die charakterstarken Porträts, zu deren Anfertigung sich die scheue Schöne im wahrsten Sinne des Wortes herabließ. Und wenn ich den Wagen ins Carport fahre und plötzlich aus schwarzen Belladonna-Augen in einem seidenweißen Gesicht angefunkelt werde, bin ich natürlich auch dahin.

Wir sind nicht ganz sicher, ob sie dieses Jahr auch ihren Nachwuchs bei uns aufziehen möchte, hoffen aber sehr darauf. Das mit dem halben Quadratmeter Wohnfläche trifft auch nicht ganz die Wahrheit, denn eigentlich gehört „unserer“ Eule die ganze, riesige Scheune. Wir denken auch, dass sie schon vor uns hier war, und vor ihr unzählige Urgroßmütter und -väter.

Man darf also mit Recht eine Frage stellen. Sie klingt eigentlich immer sachte an, wenn Mensch und Tier sich in einer gemeinsamen Umwelt begegnen.

Die Frage lautet: Wer wohnt hier eigentlich bei wem?

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